Geschichte
Fast 190 Jahre Tierschutz in Stuttgart und Württemberg
Der erste Tierschutzverein Deutschlands (und des Kontinents) wurde 1837 in Stuttgart gegründet und gab damit das Startsignal für die erste deutsche Tierschutzbewegung, die 1838 zu Vereinsgründungen in fünf weiteren württembergischen Städten führte. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden dann drei württembergische Tierschutzvereine, die ihren Sitz in Stuttgart hatten. Erst die Nazis zerschlugen diese gewachsenen Strukturen und setzten an ihre Stelle einheitliche lokale Vereine in größeren Städten Württembergs, darunter auch den „Tierschutzverein Stuttgart und Umgebung“. Nach den Zerstörungen des 2. Weltkriegs, denen auch das Tierheim in Stuttgart zum Opfer fiel, ging es schnell wieder aufwärts mit dem Tierschutz in Stuttgart. Diese lange Geschichte zeichnen wir hier in Form einer Zeittafel nach. Wer noch mehr wissen möchte, findet alles über die Zeit bis 1918 in dem Buch: „Tierschutz und Tierrechte im Königreich Württemberg. Die erste deutsche Tierschutz- und Tierrechtsbewegung 1837, die drei württembergischen Tierschutzvereine ab 1862 und ihre Tiere“ von Wolfram Schlenker (Springer 2022). |
Chronik des Stuttgarter Tierschutzes
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1822
Der Stuttgarter Pfarrer Christian Adam Dann (1758-1837) veröffentlicht eine „Schutz- und Bittschrift für die Thiere“, die nicht nur das bürgerliche Lesepublikum, sondern auch viele Bauern- und Handwerkerfamilien erreicht. Sie wird zur meistgelesenen deutschen Tierschutzschrift im 19. Jahrhundert. Anders als frühere Äußerungen von Theologen und Philosophen reflektiert die Schrift das Verhältnis zu den Tieren nicht hauptsächlich theoretisch, sondern fordert zu Verhaltensänderungen ihnen gegenüber auf.
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1832
folgt eine neue Broschüre Danns, in der er sich nicht nur gegen Tierquälerei wendet, sondern jede Nutzung ablehnt, die nicht für die Erhaltung der menschlichen Zivilisation unbedingt nötig ist: Fleischessen nur, soweit für die Gesundheit nötig, nicht aber aus „Genußsucht“. Einsatz von Arbeitstieren nur, soweit nicht ersetzbar; Schwere, Dauer, Tempo dürfen nicht überfordern, ein arbeitsfreier Tag und Gnadenbrot im Alter sollen gewährt werden. Er zieht nicht nur enge Grenzen für die Nutzung von Tieren, sondern reklamiert auch ihr Recht auf Lebensgenuss und auf ein artgerechtes Leben.
Der Mensch: „ein Verderber der Erde, ein Tyrann der Tiere“.
Christian Adam Dann, 1832Dann spricht sich dafür aus, Tierschutzvereine zu gründen, erlebt es aber nicht mehr.
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Dezember 1837
Wenige Monate nach seinem Tod 1837 initiiert sein Freund, der Pfarrer und Dichter Albert Knapp (1798-1864) im eine Versammlung Stuttgarter Bürger, die die Gründung eines „Vereins gegen Tierquälerei“ ins Auge fasst und eine Petition für einen Tierschutzparagrafen in Umlauf bringt. In den folgenden Monaten kommt durch weitere Vereinsgründungen in Württemberg und eine öffentliche Debatte über Tierschutz die erste deutsche Tierschutzbewegung ins Rollen.
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Februar 1838
Knapp veröffentlicht einen deutschlandweit verbreiteten Aufruf zur Gründung solcher Tierschutzvereine.
„Wie die Sklavenwelt, bedarf die arme Thierwelt einer Emancipation.“
Albert Knapp, 23. Februar 1838 -
1839
Unter Einfluss der württembergischen Tierschutzbewegung entstehen in Nürnberg und Dresden Tierschutzvereine.
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2. Oktober 1839
In das reformierte württembergische Polizeistrafgesetz wird ein Tierschutzparagraf aufgenommen – einer der ersten in Europa. Damit hat die Tierschutzbewegung eines ihrer wichtigsten Ziele schnell erreicht. Danach verliert sich ihre Spur. Im Januar 1840 schreibt Knapp in einem Brief vom faktischen Ende des Stuttgarter Vereins.
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17. Juni 1862
Der „Württembergische Tierschutzverein“ (WüTV) wird in Stuttgart aus der Taufe gehoben. Ein Jahr später hat der WüTV schon 2000 Mitglieder. In allen Oberämtern (Kreisen) finden sich Vertreter des Vereins, die Mitglieder werben, sich um Tierschutzbelange kümmern und Beiträge kassieren sollen. In Stuttgart, wo ein Drittel der Mitglieder wohnt, dominieren in der Mitgliedschaft Kaufleute, Handwerker und andere Selbstständige wie Ärzte bis hin zu Fabrikanten, gefolgt von Beamten, Intellektuellen wie Gymnasiallehrern, Anwälten usw. Adlige und Pfarrer sind nur wenige vertreten.
Im 15-köpfigen Vorstand des WüTV, der nur aus Stuttgartern besteht, sind zunächst höhere Beamte in der Mehrheit, Pfarrer oder Lehrer fehlen erstaunlicherweise. Die wichtigsten Arbeiten des Vereins übernimmt jedoch eine nur kleine Gruppe im Ausschuss: Vorsitzender, stellv. Vorsitzender, Schriftführer/Kassier und der Redakteur der Vereinszeitschrift.
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1863-1892
ist der königliche Oberststallmeister Wilhelm Graf von Taubenheim Vorsitzender, Pferdefreund und Chef des königlichen Marstalls. Bis in die 1920er Jahre bleiben Pferde die wichtigste tierliche Zielgruppe des Vereins. Das zeigt auch die Titelvignette der
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1864
gegründeten Zeitschrift: Rechts zwei bergauf gepeitschte Zugpferde, in der Mitte ein offensichtlich todkrankes, erschöpftes Pferd. Vögel aller Art stehen in der Aufklärungsarbeit des WüTV an dritter Stelle (in der Grafik Gänse, die lebend gerupft werden, und Singvögel).
An zweiter Stelle stehen Rinder als Milch- und Zugtiere. Intensiv werden die quälerischen Aspekte von Schlachtung und Tiertransporten diskutiert und angeprangert - in der Regel ist der Leiter des Stuttgarter Schlachthauses Vorstandsmitglied. Heimtiere wie Hunde oder Katzen spielen noch keine Rolle. Dabei bleibt es bis 1918.
Die Zeitschrift wird von dem 2. Vorsitzenden Dr. Theodor Plieninger (1795-1879) redigiert. Er ist ein namhafter Naturwissenschaftler, Lehrer, Landwirtschaftsreformer und Beamter in der „Zentralstelle für die Landwirtschaft“. Er war die prägende Figur des Vereins bis 1874. Bereits 1837 hatte er die 1. Tierschutzbewegung unterstützt.
Neben der Zeitschrift veröffentlicht der WüTV Aufklärungsbroschüren und versucht Lehrer dafür zu gewinnen, gegen Tierquälereien durch Kinder und Jugendliche vorzugehen. Die Versuche, Kinder zu Tierfreundlichkeit zu erziehen, wurden in den folgenden Jahrzehnten ständig verstärkt. Ab Ende der 1880er Jahre verteilte der Verein kostenlose „Tierschutzkalender“ an den Schulen.
Im Interesse von Pferden werden Prämien für Pferdeknechte ausgeschrieben, die ihre Tiere gut behandeln. Tierquälereien werden vom Verein angezeigt; Polizisten und Landjäger (Gendarmen), die besonders energisch gegen Tierquälereien vorgehen, bekommen ebenfalls Prämien. Das wird bis 1918 praktiziert.
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1875
Nach dem Rücktritt Plieningers 1874 wird die Zeitschrift in „Der Tierfreund“ umbenannt und und neu gestaltet. Er erscheint regelmäßig bis 1936 – zunächst alle 3, ab 1903 alle 2 Monate. Redakteure sind in der Regel Stuttgarter Lehrer. Die in den 1890er Jahren neu gestaltete Titelseite zeigt die neue Ausrichtung der Quartalszeitschrift: Weniger Aufklärung und Anprangerung tierlicher Leiden, mehr Erzeugung einer positiven Grundstimmung mit netten Tiergeschichten und Darstellung positiven Verhaltens: Nicht gepeitschte, sondern fürsorglich getränkte Pferde, Kinder, die sich liebevoll um einen verletzten Hund kümmern.
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1881
gründet der WüTV den „Verband der Tierschutzvereine des deutschen Reiches“ mit. Radikalere Tierschutzvereine, die für ein Verbot von Tierversuchen eintreten, bleiben ausgeschlossen. Der WüTV bezieht dazu keine Position, ist aber gegen den Ausschluss der vivisektionskritischen Vereine. Auch in der Anerkennung von Tierrechten geht der WüTV weiter als die Mehrheit der Verbandsvereine.
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1880er und 1890er Jahre
Die in den 1880er und 1890er Jahren prägende Figur des WüTV ist der 2. Vorsitzende und Redakteur des „Tierfreunds“, Friedrich Pfäfflin (1835-1910), Pfarrer, Pädagoge und Leiter des Waisenhauses in Stuttgart. Zum ersten Mal gehörte damit wieder ein Geistlicher zu den Aktiven; bis 1910 werden Lehrer und Professoren zur größten Gruppe im 21köpfigen Ausschuss.
Pfäfflin ist, ebenso wie der 1. Vorsitzende Taubenheim, auch Mitglied im „Internationalen Verein“ (IV) der Vivisektionsgegner. Pfäfflin spielt auf den Tagungen des Reichsverbandes eine wichtige Rolle. 1914 ist der WüTV Gastgeber der 14. Versammlung des Reichsverbandes.
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1892
gewinnt Pfäfflin nach dem Rücktritt Taubenheims den später als Luftschiffbauer bekannten General der Kavallerie a.D. Ferdinand Graf von Zeppelin (1838-1917) als sehr reputablen Vorsitzenden.
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1893
wird von bürgerlichen und adligen Frauen in Stuttgart der „Württembergische Frauentierschutzverein“ (WüFTV) gegründet. Er sieht sich als Ergänzung zum WüTV, indem er sich vor allem um das wachsende Elend von Hunden und Katzen auf den Straßen kümmert und die Gründung eines Tierasyls in Stuttgart anstrebt.
Der Verein fördert Trinkschalen für Hunde an städtischen Brunnen und unterstützt arme Hundebesitzer bei der Bezahlung der Hundesteuer. Mitglieder nehmen Streuner privat in Pflege und versuchen sie zu vermitteln. Tierversuche lehnen die Frauen radikal ab. Vorsitzende ist Elise von König-Warthausen (1835-1921).
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1895
gründen einige Frauen des WüFTV die „Abteilung Württemberg des Weltbundes gegen die Vivisektion“ (AWü), einer Dachorganisation des „Internationalen Vereins“ (IV), um sich ausschließlich dieser Frage zu widmen. Treibende Kraft ist eine Cannstatter Engländerin, Kate Deighton, deren Freundin Agnes Price den Vorsitz übernimmt.
Die Gruppe übernimmt zunächst vor allem Unterstützungsarbeit für den IV mit Sitz in Dresden, organisatorisch und finanziell. In den Beziehungen zwischen den drei Vereinen überwiegt gegenseitige Unterstützung – trotz den Meinungsunterschieden.
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1900
tritt Pfäfflin zurück, neuer stv. Vorsitzender wird der jüdische Hofbankdirektor Eduard von Kaulla (1858-1915). Die inhaltliche Arbeit wird wesentlich von dem Realschullehrer Immanuel Kammerer (1857-1927) bestimmt, der von 1898 bis zu seinem Tod 1927 den „Tierfreund“ redigiert.
Er bringt auch ein neues Element in die Aufklärungstätigkeit des WüTV: Vorträge, z. T. mit Lichtbildern. Kammerer ist ein im ganzen Land gern gesehener Redner.
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1908
wird der Esslinger Ökonom und Publizist Walter von Gizycki (1859-1930) Vorsitzender der Vivisektionsgegner/innen in der AWü und bleibt es bis zu seinem Tod. Mit diesem Aktivisten an der Spitze entfaltet die kleine Gruppe, in der nun auch Männer eine Rolle spielen, mehr Aktivitäten in Stuttgart und Umgebung: Vorträge, offene wöchentliche Treffen in einem Stuttgarter vegetarischen Restaurant, Auslage des Organs des IV („Der Tier- und Menschenfreund“) in über 40 öffentlichen Lokalitäten – eine Zahl, die sich bis 1918 verdoppelt.
Die AWü tritt auch für den Vegetarismus ein. Die AWü druckt eigene Flugblätter oder verbreitet solche des „Berliner Tierschutzvereins“. Sie werden verteilt und an zahlreiche private oder institutionelle Adressaten verschickt. Gelegentlich werden Ausstellungen organisiert oder beschickt.
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1910
macht der WüFTV den ersten Schritt zur Gründung des Tierheims Stuttgart durch Einrichtung eines „Notasyls“ für Heimtiere in 3 gemieteten Räumen mit Gartenanteil in der Alexanderstraße 19b. Zuständig ist Vorstandsmitglied Clara Oesterlen (1861- ca.1941), eine Privatlehrerin. Gründungsmitglied Mathilde von Neurath (1847–1924) wird Vorsitzende.
Erstes dauerhaftes männliches Mitglied im Vorstand wird der Tierarzt und Hobbyzauberer Dr. Manfred Keck (1883-1963), der vor allem bei der Betreuung der Tiere hilft. Der WüFTV hat 280 Mitglieder.
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1912
hat der WüTV ca. 5000 Mitglieder; stärkste Ortsgruppe ist nach wie vor Stuttgart. „Der Tierfreund“ erreicht eine Auflage von 16.500 Exemplaren, vor allem auch, weil andere deutsche Tierschutzvereine ihn übernehmen.
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1913
zieht das kleine Notasyl in einige Räume in der Neckarstraße und wenig später nach Botnang um. Es wird finanziell auch regelmäßig vom WüTV unterstützt. Im selben Jahr gewinnt Zeppelin den Infanteriegeneral Franz von Soden (1856–1945) als Vorsitzenden des WüTV.
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1916
wird in Botnang ein neues Gebäude für das Tierheim errichtet. Finanziert wird es mit den in zwei Jahrzehnten gesammelten Mitteln des WüFTV, einem zinslosen Darlehen des WüTV und großzügige Spenden, vor allem von Robert Bosch.
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1919
Mit der Schriftstellerin Ella Boeckh-Arnold (1980-1950) aus Cannstatt zieht die erste Frau in den Vorstand des WüTV ein.
Krieg und Inflation belasten die Arbeit der drei Vereine schwer; der WüTV verliert sein gesamtes Geldvermögen, da er Kriegsanleihen gezeichnet hatte. Dennoch geben alle 3 Vereine nicht auf.
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1924
folgt Clara Oesterlen der verstorbenen Freifrau Neurath als Vorsitzende und bleibt es bis zur Zwangsauflösung des Vereins 1935. Im Vorstand finden sich auch einige Männer: neben Keck etwa Ludwig Ankenbrand (1888-1971), der auch als Naturschützer, Vegetarier und bei der AWü aktiv ist. Der Verein wächst weiter.
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1928
gründen Frauen im WüTV unter Leitung von Vorstandsmitglied Boeckh-Arnold eine „Frauen-Abteilung“ mit dem Namen „Tierhilfe“, die einen kleinen „Tierhort“ in Cannstatt einrichtet, vor allem für Katzen. Ein Jahr später hatte die „Tierhilfe“ bereits 522 Mitglieder.
Eine immer wichtigere Rolle spielt im WüTV der Cannstatter Realschullehrer Georg Rau (1887-1945), zunächst als Schriftleiter des „Tierfreund“, später auch als unermüdlicher Organisator und Vortragsreisender in ganz Württemberg.
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1929
beginnt der WüFTV eine eigene Zeitschrift herauszugeben, den „Schwäbischen Tier- und Naturfreund“, später umbenannt in „Süddeutscher Tier- und Naturfreund“. Die Zeitschrift wird auch Organ verschiedener anderer deutscher Tierschutzvereine. Damit stellt sich der WüFTV in Konkurrenz zum WüTV thematisch breiter auf. An der konsequenten Ablehnung von Tierversuchen und Jagd hält er fest.
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1930
wird Ludwig Ankenbrand vorübergehend Vorsitzender der AWü, 1931 dann der Rechtsanwalt Arnulf Klett (1905-1974), der langjährige Nachkriegs-Oberbürgermeister Stuttgarts. Treibende Kraft wird Mathilde Rempis-Nast (1886-1973), die auch in den Vorstand des WüFTV gewählt wird. Es gibt auch andere personelle Überschneidungen zwischen den beiden Vereinen.
Der WüFTV tritt dem „International Humanitarian Bureau for the Protection of Animals“ in Genf beim Völkerbund bei, gegründet von zwei einflussreichen englischen Tierrechtlerinnen.
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Anfang der 1930er Jahre
Mitgliederzahlen WüTV: ca. 6000 WüFTV: ca. 1500 AWü: ca. 260 Sowohl WüTV wie WüFTV haben immer mehr Erfolg mit dem Aufbau von Ortsgruppen außerhalb Stuttgarts. Beide Vereine organisieren Bunte Abende mit bekannten Persönlichkeiten, der WüTV beispielsweise mit Mitglied Willy Reichert; alle drei Vereine organisieren sehr aktiv Vortragsveranstaltungen.
Die Arbeit der Stuttgarter Tierschützer/innen entwickelt sich also ausgerechnet in diesen Krisenjahren in bürgerlichen städtischen Kreisen gut. Allerdings: Auch jetzt wird das Tierheim ständig von Geldnot geplagt. Und es gibt, vertreten durch Rempis-Nast und den Redakteur des „Süddeutschen Tier- und Naturfreunds“, den Antisemiten Fritz Gärttner (1882-1955), Tendenzen aggressiver Konkurrenz gegenüber dem WüTV.
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1933
Die Machtergreifung durch die NSDAP in der ersten Jahreshälfte wird von den drei Vereinsführungen begrüßt; zurückhaltend vom WüTV, lautstark durch den WüFTV und die AWü, vor allem durch Rempis-Nast und Gärttner. Viele Tier- und Naturschützer gehen der Nazipropaganda auf den Leim, dass im "Dritten Reich" Tier- und Naturschutz einen gewaltigen Fortschritt machen würden. Stattdessen beginnt ein Niedergang der Arbeit.
Ende 1933 gründet das Innenministerium den weisungsgebundenen Reichstierschutzbund (RTB), dem nur örtliche Vereine mit dem Namen „Tierschutzverein X und Umgebung“ unterzuordnen waren – ohne Landesstrukturen wie in Württemberg. Die vorhandenen drei württembergischen Vereine sollen aufgelöst, ihr Vermögen einschließlich der Tierheime konfisziert werden.
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1934-1935
Die Vereine, vor allem der angesehene WüTV mit General Soden an der Spitze, leisten zähen Widerstand gegen ihre Auflösung mit ihren landesweiten Strukturen. Rau wird zwar ebenso NSDAP-Mitglied wie Gärttner und Rempis-Nast, hält sich ideologisch im Gegensatz zu diesen jedoch zurück; noch Ende 1935 setzt er im „Tierfreund“ Nr. 5 einen Aufsatz des vor den Nazis geflohenen Tierrechtlers Magnus Schwantje auf die ersten Seiten.
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1936
Das Württ. Polit. Landespolizeiamt teilt den 3 Vereinen in gleichlautenden Schreiben ihr Verbot und die Beschlagnahmung ihrer Vermögen mit. Die beiden Zeitschriften werden zwangsvereinigt, Redakteur wird trotz heftiger Bemühungen bis hin zu Denunziationen nicht Gärttner, sondern Ankenbrand.
Es entsteht vorübergehend eine „Landesgruppe Württemberg-Hohenzollern“ des faschistischen RTB mit verschiedenen Bezirksgruppen, in der Protagonisten der früheren drei Vereine weiter eine Rolle spielen, nicht mehr jedoch die bisherigen Vorsitzenden Soden, Oesterlen und Klett. Auch Gärttner verschwindet.
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1939
Erst jetzt kann das Reichsinnenministerium die endgültige Zerschlagung des württembergischen Tierschutzes in örtliche Vereine unter dem Reichstierschutzbund durchsetzen. In dem seit Jahren anhaltenden Durcheinander leidet die Arbeit für die Tiere beträchtlich. „Der Tierfreund“ wird vom RTB als sein Organ übernommen.
Ende März versammelt ein Emissär des RTB Aktive in Stuttgart zur Gründung des „Tierschutzvereins Stuttgart und Umgebung“ mit der vorgeschriebenen Einheitssatzung. Unter den 10 GründerInnen befinden sich: 3 ehemalige Vorstandsmitglieder des WüTV, darunter Georg Rau, der als Vereinsleiter eingesetzt wird, und die Leiterin der „Tierhilfe“ Mina Semle; vom WüFTV Dr. Keck, von der AWü Rempis-Nast und Ankenbrand. Der neue Verein übernimmt auch das Tierheim.
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1944
sinkt das Tierheim im Feuerbacher Tal wie der größte Teil von Stuttgart in Schutt und Asche, aber in seinen Trümmern und in Privatwohnungen wird von unbeirrbaren Tierfreundinnen und Tierfreunden die Arbeit weitergeführt.
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1945
wird im Oktober der Verein unter Vorsitz von Dr. Manfred Keck (1945-1952 Leiter des Schlachthofs) unter der Adresse Heusteigstr. 44 seiner 7 Stellvertreterin Mina Semle von der amerikanischen Militärregierung erneut zugelassen; der ehemalige Vorsitzende der AWü, Dr. Klett, wird zum OB Stuttgarts ernannt.
Georg Rau, langjähriger Redakteur des Tierfreunds und aktivster Redner und Organisator des WüTV, wird im Rahmen der Entnazifizierung wegen seiner Parteimitgliedschaft und Aktivität im Nationalsozialistischen Lehrerbund von den Militärbehörden interniert und stirbt im Juni 1945 im Lager.
Teile des zerstörten Tierheims werden notdürftig repariert. Das Tierheim stützt sich ausschließlich auf ehrenamtliche Mitarbeit.
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1952
wird Else Eberle (1905-1989) Vorsitzende. Ihr Mann Josef Eberle alias Sebastian Blau ist Herausgeber der Stuttgarter Zeitung.
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1953
wird das mit Zuschüssen der Stadt größtenteils neu gebaute Tierheim im Feuerbacher Tal eingeweiht. Der Tierschutzverein betreibt aber nicht nur das Tierheim, sondern organisiert auch Info-Stände zu weiteren Tierschutzfragen und beteiligt sich an entsprechenden Demonstrationen.
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1960
Vorsitzender wird Eugen Grimminger (1892-1972), ehemaliger Präsident des Landesverbandes landwirtschaftlicher Genossenschaften und aktiver Antifaschist. Der Schirm-Fabrikant Hugendubel (1908-1969) ist als geschickter „Werbebeauftragter“ im Vorstand aktiv. OB Klett steht in freundschaftlichem Kontakt mit beiden.
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1965
wird das Tierheim erneut mit Unterstützung der Stadt renoviert. Die finanzielle Lage erlaubt in den 60er Jahren erstmals wieder die Anstellung hauptberuflicher Tierheim-Mitarbeiter.
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1972
wird die langjährige ehrenamtliche Tierheimmitarbeiterin Edith Staiger Vorsitzende. In den folgenden Jahrzehnten tauchen in der Vereinsarbeit neben der Verwaltung des wachsenden Tierheims wieder Stichworte wie Massentierhaltung, Tiertransporte und Tierversuche auf.
Ab 1980 wechselt der Vorsitz häufig, erst
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1984
führt der Amtsantritt von Karl Graf (1919-2016) wieder zu personeller Stabilität.
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1987
wird Angelika Schmidt-Straube Stellvertreterin. Sie initiiert 1988 wieder eine kleine Zeitschrift des Vereins: Das "Tierschutz-Blättle“ im A5-Format. Es wird 1995 durch die Zeitschrift: „Stuttgarter Tierschutz“ ersetzt, die zunächst der Landestierschutzverband in hoher Auflage verlegt.
Im selben Jahr wird das 150-jährige Jubiläum des Stuttgarter Tierschutzes durch eine große Feier würdig begangen.
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2004
Die Zeitschrift wird von Schmidt-Straube neu konzipiert, mit einem ansprechenden Layout versehen und in „Der Strohhalm“ umbenannt. Er erscheint halbjährlich.
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2008
übernimmt Angelika Schmidt-Straube den Vorsitz.
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2012
feiert der Verein das 175-jähriges Jubiläum des Stuttgarter Tierschutzes.
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2013
gerät der Verein finanziell in die Schieflage. Dank unzähliger Spenden und dem Einlenken der Stadtverwaltung kann die Misere bis zum folgenden Jahr überwunden werden.
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2015
wird das Projekt „Silberpfoten“ ins Leben gerufen, mit dem die Lebensgemeinschaft von alten Menschen mit ihrem Haustier unterstützt wird. 2021 erhält das Projekt den Tierschutzpreis Baden-Württemberg.
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1. Juli 2024
Die langjährige Tierheimleiterin Marion Wünn wurde in den Ruhestand verabschiedet, Nachfolgerin ist Helen Kaufmann.